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Funktionstheorie

Die funktionale Harmonielehre ist ein auf Hugo Riemann zurückgehendes Konglomerat von Vorstellungen, die aus der Kompositionslehre hervorgegangen sind. Maßgeblich ist das Ideal einer Komposition, in der die Stimmen in kleinen Schritten "natürlich" voranschreiten sollen. Dazu werden passende Regeln konstruiert, nach denen sich die Stimmen aufgrund einer ihnen angeblich innewohnenden Tendenz bewegen sollen. Entsprechend betrachtet die Funktionstheorie alles Harmonische aus der Perspektive einer idealen Stimmführung. Sie deutet harmonische Sachverhalte prinzipiell als "Funktionen" einer vorschriftsmäßigen Stimmbewegung. Dadurch werden Harmonien nie als solche analysiert, sondern stets mit melodischen Vorstellungen vermischt.

 

(Die folgenden Zitate stammen aus der Einführung in die funktionale Harmonielehre von Christian Köhn [24.1.2010]. Wer die Kritik der entsprechenden Theoreme lieber anhand von Originalzitaten von Riemann lesen will, findet alles Nötige in dem Buch „Die tonale Musik“)

 

Schon den Grundklängen der Tonalität werden Funktionen angedichtet: Tonika, Dominante und Subdominante werden nicht als Bestimmungen begriffen, die Klänge durch ihr harmonisches Verhältnis zueinander bekommen, also als Reflexionsbestimmungen, sondern als Funktionen, die diese Klänge ganz unabhängig von ihrem tonalen Verhältnis haben und die in diesem Verhältnis allenfalls "deutlich" werden. Die Dreiklänge werden von vorneherein gar nicht harmonisch gefasst, sondern als Gebilde, die auf den Stufen einer Tonleiter errichtet sind. Ausgangspunkt ist die Vorstellung von natürlich gegebenen Stufenabständen in diatonischen Tonleitern, mit deren Tönen sich zufällig Dur- und Mollklänge bilden lassen. Als ebenso natürlich werden auf- und abwärts gerichtete Tendenzen in der Tonleiter unterstellt, worin also Leittöne ihren Spuk treiben. Die "Funktion" der Dominante soll dann eine auf dem "Leitton" beruhende "stark zur Tonika hinstrebende Auflösungstendenz" sein. Die Auflösung in die Tonika wird also nicht aus der Harmonik der Tonalität erklärt, sondern in eine mystische "Funktion" eines Dreiklangs verfabelt, der diese Funktion von Natur aus erfüllt. Noch lustiger ist die "Funktion" der Subdominante, die angeblich "verzögernd wirkt und außerdem der melodischen Vervollständigung dient, weil ohne sie die vierte und sechste Stufe der Skala der Kadenz fehlten." Da wurde die Subdominante gerade aus der Tonleiter abgeleitet und als auf deren vierter Stufe errichtet vorgestellt, und nun wird es umgekehrt zu einem "Dienst" der Subdominante, der Tonleiter Töne verfügbar zu machen, die sonst irgendjemand darin vermissen würde (vielleicht, um die Subdominante auf der Tonleiter errichten zu können...).

 

Eine Dissonanz ist in der funktionalen Harmonielehre kein Zusammenklang aus dominantischen, subdominantischen oder tonischen Tönen, sondern ein Ton. Und zwar ein Ton, der die "Funktion" eines mit ihm zusammenklingenden Dreiklangs verdeutlicht:

 

"Durch Hinzufügen eines charakteristischen dissonanten Tones kann die Funktion eines Dreiklangs auch ohne Kadenzzusammenhang eindeutig bestimmbar werden. Dieser Ton heißt deshalb "Charakteristische Dissonanz"."

 

Der zusätzliche Ton bei einem Dominantseptakkord ist dann nicht der subdominantische Grundton, sondern die Sept, ein Intervall, etwas rein Melodisches. Als solches hat die Sept eine geheimnisvolle Eigenschaft: "Der Dreiklang bekommt durch die Sept Dominant-Funktion." Ähnlich zaubert die Sext eine "Subdominant-Funktion". Warum? Nicht etwa wegen der tonalen Verhältnisse in den Klängen und deren Abfolge, sondern wegen diverser Tendenzen der melodischen Fortbewegung, die sich angeblich feststellen lassen.

 

Die Töne, die in Wirklichkeit tonal bestimmt sind (als Bestandteile von T, D, S), erscheinen in der Funktionstheorie als Hilfsmittel, um alle Harmonien als exklusive Repräsentanten von T, D, S zu deuten. Die Töne gehören nicht zu T, D, S und klingen als solche zusammen, sondern sie tragen dazu bei, dass der ganze Klang im Sinne von T oder D oder S "verstanden" werden muss. Die Funktionstheorie deutet sich die Klänge entsprechend zurecht, indem sie jene nicht nach den wirklichen Tönen beurteilt, sondern nach fiktiven Tönen, die angeblich eigentlich "gemeint" sind. Ein Ton kann einen andern Ton "ersetzen":

 

"Statt zum Dreiklang hinzugefügt zu werden, kann die Sext auch die Quint ersetzen..."

 

Da sich die Tonika bei der Funktionstheorie nicht durch tonale Verhältnisse herauskristallisiert, sondern als "Funktion" an einem Akkord einfach so dran ist (gemäß der notierten Tonart), kennt diese Theorie keine Modulation infolge wechselnder tonaler Verhältnisse, sondern deutet Akkorde in anderen Tonarten als Vertreter der alten, nur weil die neuen Töne immer auf der gleichen Stufe liegen wie die alten. Dass diese Stufen alteriert sind, dass es sich also um andere Töne handelt – kein Problem: Gemeint sind dann die Töne, die nicht erklingen. Die Funktionstheorie ersetzt die Analyse der Tonarten, die in einem Musikstück vorkommen, durch die Behauptung von Funktionen einer unveränderlichen Tonart, die sich im Prinzip in zwölf Tönen darstellen kann. Ihre einschlägigen Konstrukte heißen alterierter Akkord, Vorhalt, Zwischendominante usw.

 

Die Funktionstheorie liefert im Gestus der Analyse dessen, was erklingt, eine bloße Deutung im Sinne dessen, was sie als eigentlich Gemeintes unterstellt. Die funktionale Harmonielehre gehört in die Reihe der Theorien, die in der Musik einen Hintersinn vermuten, nämlich ein Etwas, das der Komponist "gemeint" hat. Fachbegriff aus dem Bereich Musik.


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