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Discantus

In Absetzung gegen das Organum entstand im Hochmittelalter der Stil des Discantus, einer Mehrstimmigkeit, bei der Fortschreitungen in ungleichen Intervallen, Gegenbewegung und ungleichzeitige Bewegung bevorzugt werden. Eine Stimme fungiert als Cantus firmus, als eine vorgegebene, meist bekannte, langatmig zerdehnte Melodie, während eine oder mehrere Zusatzstimmen – zunächst improvisatorisch – dagegengesetzt werden. Die Zusatzstimmen beziehen sich auf den Cantus firmus wie Voces principales zu einem ständig wechselnden Bordun-Ton. Die Stimmen sind noch ganz mit ihrer Klangquelle verwachsen und haben der Vortragstechnik nach auch noch keine wechselseitige Beziehung zueinander: Während der Cantus firmus in sich ruhend, unbeirrt und beharrlich dahinschreitet, sind die Zusatzstimmen jeweils einseitig auf ihn bezogen. Der Sache nach werden jedoch melodische Bewegungsverhältnisse sowie mehr oder weniger harmonische Klangverhältnisse zu Gehör gebracht. Und in dieser Hinsicht ist die beim Bordunprinzip, bei der Quintenparallele oder beim einstimmigen Chorgesang praktizierte Koordination der Stimmen, die sich an einem Halteton und am „Rhythmus“ der sprachlichen Artikulation orientiert, nicht mehr ganz so unproblematisch: Die Musiker experimentierten mit einer Mehrstimmigkeit, deren klangliche Reize sie nicht im Griff hatten. Zur Lösung dieses Problems wurde die Mensuralnotation geschaffen.

 

Die frühen Kontrapunktlehren interessierten sich für Methoden zur Gewährleistung einer wohlklingenden Polyphonie. Die Vorgehensweise entsprach der mittelalterlichen Irrationalität einer Suche nach dem Stein der Weisen: Man wollte das Ohr zufrieden stellen, ohne es zum Richter machen zu wollen. Die innersten Geheimnisse der Musik sollten in Regeln fixiert werden, als wäre Musik eine Frage von Willkür oder Geregeltheit. Vorstellungen von vollkommenen und unvollkommenen Proportionen bei Tonlängen und Zusammenklängen prägten die Systematik der Notierung ebenso wie die Vorschriften, nach denen komponiert werden sollte. Die kürzeren Notenwerte wurden zunächst prinzipiell als Drittel der längeren definiert – entsprechend der im christlichen Glauben verbürgten Vollkommenheit der Zahl drei. Erst später, nachdem die fortlaufende Dreiteilung der Notenwerte schon einen gewissen Höhepunkt erreicht hatte, wurden halbierte Notenwerte als gleichermaßen akzeptabel angesehen. Bei den Zusammenklängen waren zunächst nur Oktave und Quinte überall als vollkommen anerkannt, Terzen und Sexten dagegen erst gegen Ende des Mittelalters.

 

Die Unkenntnis der wirklichen harmonischen und rhythmischen Grundlagen der Musik sowie die mageren Ergebnisse des methodisch kontrollierten Komponierens wurden durch fingierte Kompetenz und Strenge des Lehrbetriebs ausgeglichen. Die Abgrenzung des Discantus gegenüber dem fortbestehenden Organum geschah entsprechend durch ein Verbot von Quintenparallelen.

 

Nach der Entdeckung von Dur und Moll im 16. Jahrhundert verlor der Kontrapunkt in zweierlei Hinsicht an Bedeutung: Erstens erhielt der Kontrapunkt als Konzept Konkurrenz durch den Generalbass, der die Harmonienfolge zum Kernpunkt der Musikkomposition machte und dadurch maßgeblich dazu beitrug, die harmonischen und rhythmischen Grundlagen der heutigen Musik herauszuarbeiten. Zweitens wurde in der damaligen Musik die Stimmbewegung zu einer nachgeordneten Verlaufsform der Harmonienfolge, so dass der Kontrapunkt in vergleichsweise einfachen, zufälligen und unscheinbaren Formen ausgeprägt wurde. Erst nach der Durchsetzung von Tonalität und Taktrhythmik erlebte der Kontrapunkt eine Renaissance – als moderner Kontrapunkt der tonalen Musik. Seinen Ruf als (fragwürdiges) methodisches Wundermittel des guten Komponierens hat er allerdings bis heute nicht verloren. Fachbegriff aus dem Bereich Musik.


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