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Atonale Musik

Musik, die einzelne Momente des Musikalischen gegen ihre immanente Ästhetik und musikalische Grundlage verselbständigt und als solche gestaltet. Zum Beispiel werden die zwölf Töne getrennt von ihrer harmonischen Grundlage (der Modulation) und antiharmonisch verwendet. Oder es wird alles Harmonische, Rhythmische und Melodische aus den Tonfolgen getilgt, um eine Abstraktion wie die „Reihe“ praktisch wahr zu machen. Musikalische Formen gerinnen zum „Material“, und die radikalsten Vertreter der atonalen Musik produzieren nur noch Geräuschkollagen. Atonale Musik ist daher abstrakte Musik: Musik, in der außermusikalische Vorstellungen geltend gemacht werden und daher alles spezifisch Musikalische aufgelöst wird. Die Aufführungsprobleme der atonalen Musik rühren genau daher, dass die Aufführenden sich nicht ihre Musikalität zunutze machen können, sondern stur nach Noten spielen müssen, wenn es überhaupt noch um so etwas wie Töne geht.

 

Die Vorstellungen, die an die Stelle des musikalischen Interesses treten, sind teils verkehrte musikalische Abstraktionen (zum Beispiel Tonalität nicht als harmonische, sondern als statistische Beziehung, Dissonanz nicht als Harmonie, sondern als Zahlenverhältnis...), teils von anderswo (zum Beispiel Astrologie) hergenommene Einbildungen. Das Bedürfnis, das die Komponisten bedienen wollen, ist nicht das nach Klanggenuss, sondern das nach Sinn. Atonale Musik ist ein Beitrag zur Sinnstiftung. Die Komponisten treten daher mit dem Gestus auf, ihre Musik enthalte eine Botschaft, die verstanden werden könne. Sie werden unterstützt von Musikwissenschaftlern, die Musik nur noch als Sprache verhandeln.

 

Im Unterschied zur modalen Musik ist die atonale Musik nicht vorbürgerliche Musik, die sich erst noch aus ihrer religiösen Befangenheit lösen muss, um sich auf ihre eigene (harmonische) Grundlage zu stellen, sondern Musik von Komponisten, die sich in moralischer Befangenheit (Sehnsucht nach Sinn) gegen die bereits fertig entwickelte (= tonale) Musik wenden, um sie historisch abzulösen. Die Vertreter dieser Musik beschwören ein Geschichtsbild, worin Atonalität als musikalischer Fortschritt vorgestellt wird. Daher das Gerücht, die tonale Musik sei um 1900 herum zu Ende gewesen.

 

Auch die Kreativität der „modernen“ Künstler ist abstrakt: Das Neue erscheint als Wert für sich, getrennt von allen ästhetischen Gesichtspunkten. Das Ideal der modernen Kunst ist die Originalität. In diesem Ideal nehmen sich die Künstler ihre Lebensgrundlage in der bürgerlichen Gesellschaft persönlich zu Herzen: das Urheberrecht, mit dem Geistesprodukte zu Geld gemacht werden können. Entsprechend sind die Komponisten mit ihrer Besonderheit befasst, suchen beim Komponieren nach ihrer Identität, fragen sich lebenslang, wer sie sind und wie sie ihre innerste Persönlichkeit dem Publikum mitteilen können. Denn aus dem geistigen Ursprung der Kunstwerke schließen sie ganz selbstverständlich, dass es darin um sie ganz persönlich ginge und dass sich in der Musik der Künstler ausdrücke. So wird die ganze Dürftigkeit der Abstraktion Identität zum Inhalt der Botschaften, um derentwillen Musikinstrumente und Ohren strapaziert werden. Dem Publikum wird mit atonaler Musik nichts Genießbares geboten, sondern Gewöhnung abverlangt. Geboten wird dafür ein „Material“, das jeder deuten kann wie er will, also ein Betätigungsfeld für abstrakte Freiheit.

 

Die Rezension der Schönbergschen Harmonielehre im Anhang des Buchs „Die tonale Musik“ bietet eine exemplarische Analyse von Absicht, Kompositionsweise und Ideologie der atonalen Musik. Fachbegriff aus dem Bereich Musik.


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