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Sonanzgrad

Die gewöhnliche Vorstellung von Konsonanz und Dissonanz beruht auf dem Widerspruch, einen qualitativen Unterschied zwischen beiden zu unterstellen und ihn zugleich durch die Behauptung eines bloß quantitativen Unterschieds zu leugnen. Dabei wird selbst der Ausgangspunkt der Unterscheidung von Konsonanz und Dissonanz – die Sache mit der Auflösungsbedürftigkeit der Dissonanz – verkehrt gefasst: Der Unterschied wird nicht in der Form des Harmonierens festgehalten, sondern in eine Frage von "Missklang" und "Wohlklang" umgedeutet:

 

"Dissonanz – Reibung, Mißklang. Erfordert eine Auflösung. Gegenteil: Konsonanz." (Fachwortlexikon von Musiklehre Online [24.1.2010])

 

Der Grund des Unterschieds wird in Zahlenverhältnissen gesucht (wo Konsonanz und Dissonanz [als Scheinkonsonanz] sogar übereinstimmen können), und zwar in Form einer Grenze zwischen kleinen und großen Zahlen, wobei die Grenze dann wieder vom Zeitgeschmack abhängen soll und schließlich und recht eigentlich überhaupt kein Unterschied besteht. Oder es wird eine geheimnisvolle qualitative Besonderheit an den quantitativen Verhältnissen gesucht. Wenn schon die Primzahlen nicht dazu taugen, einen Unterschied zwischen Konsonanz und Dissonanz herzukriegen, dann soll es der Unterschied von "einfach" und "komplex" sein:

 

"Dissonanz – "Missklang" oder besser: tonale Reibung, die sich verstärkt, je komplexer die mathematische Beziehung zwischen den Frequenzen gleichzeitig erklingender Töne wird..." (Keyboards [24.1.2010])

 

Was dann "einfach" oder "komplex" sein soll, darf man sich tautologisch wieder rückwärts aus dem wahrnehmbaren Unterschied von Konsonanz und Dissonanz einleuchten lassen. Da Zahlen aber letztlich doch nur quantitative Unterschiede aufweisen, mündet die Identifizierung von Harmonie und Zahl einerseits in Zahlenmystik –

 

"In ihrem Kern ist Musik reine Mathematik – berechenbare Luftschwingungen, deren Frequenzen sich nach physikalischen Regeln überlagern. Und doch geschieht eine Art Wunder: Mathematik verwandelt sich in Gefühl." (Der Spiegel [24.1.2010])

 

– andererseits in die Leugnung des qualitativen Unterschieds von Konsonanz und Dissonanz:

 

"Der Unterschied zwischen ihnen ist daher nur graduell und nicht wesentlich. Sie sind, was sich ja auch in den Schwingungszahlen ausdrückt, ebensowenig Gegensätze, wie zwei und zehn Gegensätze sind; und die Ausdrücke Konsonanz und Dissonanz, die einen Gegensatz bezeichnen, sind falsch." (Arnold Schönberg, Harmonielehre, ausführlicher zitiert bei "Projektlernen" [24.1.2010])

 

In der Kompendienliteratur werden alle diese verkehrten Vorstellungen gesammelt, gewogen, gewürdigt und in einer Erfindung zusammengefasst, die in der Tat den gemeinsamen Fehler – die Identifizierung von Harmonie und Zahl – passend bebildert:

 

"Die Einfachheit oder Kompliziertheit der Zahlenproportionen ist ein Symbol (keine Erklärung), die größere oder geringere Verschmelzung der Töne im Zusammenklang ist ein sinnliches Merkmal, die Koinzidenz von Obertönen ist (vielleicht) die oder eine Ursache der Sonanzgrade." (Carl Dahlhaus, Konsonanz-Dissonanz, Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel 1996).

 

Ignoriert man den Ausgangspunkt der ganzen Diskussion: die Suche nach einer Erklärung für den Unterschied von Konsonanz und Dissonanz, kürt man statt dessen die "Sonanzgrade" zum erklärungsbedürftigen Gegenstand, dann hat man das passende "Modell" zu den auf Zahlen fixierten Vorstellungen von den Harmonien. Zu basteln ist dieses Konstrukt leicht: Man lässt die Vorsilben Kon- und Dis- von den eigentlichen harmonischen Objekten weg und hängt hinten einen Grad dran. Und schon hat man eine Bezeichnung für das geheimnisvolle Etwas, von dem die Harmonien angeblich unterschiedliche Portionen enthalten. Fachbegriff aus dem Bereich Musik.


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